
C. M. Boger: Was wir über die Fallaufnahme wissen sollten
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Der Homöopath benötigt alle verfügbaren Symptome und Nachweise für eine Krankheit, bevor er ein Mittel gibt.
Das schreibt Cyrus Maxwell Boger 1909 im Homoeopathic Recorder in einem Artikel über die homöopathische Fallaufnahme:
Wir Homöopathen verlassen uns dabei stärker auf feinere, oft subjektive Symptome, während unsere allopathischen Kollegen eher auf messbare, objektive Befunde wie Laborergebnisse setzen.
Ein aufmerksamer Schüler der Homöopathie erkennt schnell, dass Krankheit in erster Linie ein innerer Prozess ist, der über das rein Körperliche hinausgeht.
Wäre dies nicht der Fall, würden sich Erkrankungen nicht nach außen manifestieren. Jede Krankheit verläuft individuell und beeinflusst das gesamte Leben eines Menschen – von objektiven körperlichen Beschwerden bis hin zu ausgeprägten geistigen Symptomen. Eine gründliche Betrachtung der gesamten Lebensgeschichte kann daher der sinnvollste Weg sein, um eine Krankheit zu verstehen und zu behandeln.
Trotz moderner technischer Hilfsmittel, die es ermöglichen, in das innere Funktionieren des menschlichen Körpers einzudringen, bleiben die gewonnenen Erkenntnisse oft lückenhaft. Im Gegensatz dazu zeigt die Natur stets ein vollständiges Bild des individuellen Symptommusters – farbenfroh, ausdrucksstark und einzigartig, sowohl im aktiven als auch im ruhenden Zustand. Dies bedeutet, dass Heilung durch eine gezielte, harmonische Reaktion auf die energetischen Prozesse des Organismus erreicht werden kann.
Es reicht jedoch nicht aus, einfach alle Symptome einer Krankheit zu sammeln. Viel wichtiger ist es, diejenigen herauszufiltern, die sich gegenseitig beeinflussen und das wahre Wesen der Erkrankung offenbaren. Hahnemann betonte, dass das Fehlen von Symptomen oder das Vorherrschen eines einzelnen, dominierenden Symptoms auf eine Unterdrückung hinweisen kann. In solchen Fällen zeigt die Lebenskraft nur noch schwache Zeichen ihres Ungleichgewichts – ähnlich wie es bei einem Schock oder schweren Krankheitsverläufen der Fall ist.
Dies sind die wesentliche Aussagen:
- Ganzheitlicher Ansatz: Der Arzt sollte alle verfügbaren Krankheitsanzeichen berücksichtigen, nicht nur objektive Laborergebnisse.
- Innere Natur der Krankheit: Krankheit ist primär ein inneres und überphysisches Phänomen.
- Individuelle Ausdrucksformen: Jede Krankheit manifestiert sich individuell und kann nicht nur durch äußere Symptome beurteilt werden.
- Begrenzte Technik: Technische Methoden sind oft unzureichend, um das gesamte Krankheitsbild zu erfassen.
- Bedeutung der Symptome: Entscheidend ist nicht nur die Erfassung vieler Symptome, sondern das Erkennen der zentralen und miteinander verflochtenen Zeichen.
- Hahnemanns Sicht: Ein Mangel an Symptomen oder ein dominierendes Symptom kann auf eine Unterdrückung der Lebenskraft hinweisen.
Die Fallaufnahme in der Homöopathie
Von C. M. Boger, M.D., Parkersburg, W. Va.
Die Qualität der täglichen Arbeit eines Arztes ist entscheidender als gelegentliche brillante Heilungen. Der wahre Erfolg eines Homöopathen hängt von seiner Beobachtungsgabe und seinem Wissen über Details ab. Eine gründliche Kenntnis der körperlichen Diagnose verbessert nicht nur das Verständnis für Symptome, sondern hilft auch, die passenden Mittel präziser auszuwählen. Diagnose und Therapie sind eng miteinander verknüpft – je genauer das Verständnis der Krankheit, desto gezielter kann das richtige Mittel gefunden werden.
Lokalisation der Krankheit
Verschiedene homöopathische Mittel wirken auf unterschiedliche Körperregionen, Gewebe und Funktionen. Der genaue Grund, warum ein Mittel dämpfend und ein anderes anregend wirkt oder warum die Wirkung je nach Dosis variiert, bleibt trotz intensiver Forschung oft unklar. Viele Mittel sind vor allem durch ihre regionalen Effekte bekannt, aber einige wurden nur unvollständig getestet und werden daher unsystematisch oder unterdrückend eingesetzt.
Mittel, die auf ähnliche Gewebe wirken, sind oft miteinander verwandt und unterscheiden sich vor allem in ihrer Wirkung auf die Psyche oder durch bestimmte Modalitäten (Veränderungen der Symptome unter bestimmten Bedingungen). Zum Beispiel beeinflussen Baryta carbonica und Apis beide das Lymphsystem, aber ihre psychischen Symptome sind völlig gegensätzlich. Ebenso neigt ein chronischer Sepia-Patient dazu, Lachesis-Symptome zu zeigen, wenn Alkoholismus im Spiel ist.
Ursachen der Krankheit
In der Schulmedizin spricht man von der Ätiologie der Krankheit, aber in der Homöopathie ist der Blickwinkel viel weiter gefasst. Krankheiten können durch äußere oder innere Faktoren entstehen. Äußere Ursachen sind leichter zu erkennen und umfassen zum Beispiel Witterungseinflüsse, Verletzungen oder körperliche Anstrengung. Innere Ursachen sind oft emotionaler Natur, wie Kummer, Angst oder Schock. Diese psychischen Belastungen können langfristige Auswirkungen haben, und es ist nicht immer einfach, sie im Krankheitsverlauf richtig einzuordnen.
Ob die Ursache von außen oder von innen kommt – eine erfolgreiche Mittelwahl erfordert eine gründliche Berücksichtigung aller krankheitsauslösenden Faktoren. Dazu gehören auch die tief verwurzelten miasmatischen Belastungen nach Hahnemann.
Modalitäten – Einflussfaktoren der Symptome
Jede Krankheit und jedes homöopathische Mittel wird durch bestimmte Modalitäten definiert. Dazu gehören Faktoren wie Körperhaltung, Bewegung, Temperatur, Wetter oder der Einfluss von Wasser (z. B. Baden oder Nässe). Einige Modalitäten sind sehr spezifisch für bestimmte Mittel. Ein bemerkenswertes Beispiel ist Clematis: Sein Ekzem ist während des zunehmenden Mondes feucht, trocknet aber während des abnehmenden Mondes aus.
Auch emotionale Einflüsse spielen eine entscheidende Rolle. Gefühle wie Trost, Ärger oder Einsamkeit können Symptome verstärken oder lindern. Ein eindrucksvolles Beispiel ist „Schmerz, der Wut auslöst“ – ein wichtiges Leitsymptom in der Mittelfindung.
Die Bedeutung der Psyche
Die Psyche eines Patienten ist sowohl ein Spiegelbild als auch ein Steuerungsmechanismus der Krankheit. Ein aufmerksamer Arzt kann durch Sprache, Mimik und Verhalten viel über den Zustand des Patienten erfahren. Oft zeigt die Stimme eines Menschen unbewusst, welche inneren Prozesse im Gange sind. Entscheidend ist dabei die Veränderung der Stimmung im Vergleich zur normalen Persönlichkeit des Patienten.
Begleitsymptome (Konkomitanten)
Begleitsymptome können sehr ungewöhnlich oder auffällig sein und geben oft den entscheidenden Hinweis auf das richtige Mittel. Manchmal ist das betroffene Organ so geschwächt, dass sich der Krankheitsprozess nur durch Begleitsymptome zeigt. In diesen Fällen sind diese Symptome besonders wertvoll für die Mittelauswahl.
Auch das Alter eines Symptoms ist wichtig. Neu aufgetretene, akute Symptome sind oft die wegweisenden. Mittel, die akute Symptome lindern, können eine vorbestehende chronische Störung aufdecken oder verstärken. In solchen Fällen sind konstitutionelle Mittel notwendig, um tiefgreifende Heilung zu ermöglichen.
Ungewöhnliche Symptome als Schlüssel zur Mittelfindung
Bei der Fallaufnahme ist es sinnvoll, den Patienten zunächst frei erzählen zu lassen. Der Homöopath kann sich dabei Notizen machen und gezielt Fragen stellen, um Lücken zu füllen.
Jede Krankheit ist einzigartig, da sie aus einer Kombination von Faktoren entsteht, die so nie wieder exakt in gleicher Weise auftreten. Das beste Mittel ist daher dasjenige, das dieser individuellen Kombination am nächsten kommt. Dabei spielen folgende Elemente eine Rolle:
- Krankheitslokalisation
- Ursachen und Auslöser
- Modalitäten
- Psychischer Zustand
- Begleitsymptome
- Ungewöhnliche oder seltene Symptome
Objektive Beobachtungen – wie Mimik, Körperhaltung, Hautfarbe, Reflexe oder Körpergeruch – sind oft aussagekräftiger als subjektive Empfindungen des Patienten. Besonders in der Kinderheilkunde haben sie sich als äußerst wertvoll erwiesen.
Einige Symptome sind nur dann von Bedeutung, wenn sie an einer unerwarteten Stelle oder in einer ungewöhnlichen Weise auftreten. Entscheidend ist dabei nicht das Symptom an sich, sondern seine Modalitäten, sein zeitliches Muster und sein Kontext.
Die Bedeutung der Zeit im Krankheitsbild
Symptome, die in einem bestimmten Zeitmuster auftreten, sind oft besonders wichtig. Einige Mittel haben eine sehr präzise Periodizität und können gezielt eingesetzt werden. Beispiele hierfür sind:
- Natrum muriaticum: Symptome zwischen 10 und 11 Uhr vormittags
- Belladonna: Symptome um 15 Uhr
- Apis: Symptome zwischen 15 und 17 Uhr
- Lycopodium: Beschwerden zwischen 16 und 20 Uhr
Auch die Zyklen von Sonne, Mond und Jahreszeiten beeinflussen manche Mittelwirkungen. Bestimmte Pflanzen haben charakteristische Rhythmen, die in der Homöopathie von Bedeutung sein können.
Schlussfolgerung
Gesundheit entsteht durch eine harmonische Anpassung an innere und äußere Umstände. Als Therapeuten müssen wir uns bewusst machen, dass Krankheiten ein Ausdruck von gestörter Lebenskraft sind. Sie entstehen nicht nur durch äußere Einflüsse, sondern auch durch emotionale und energetische Prozesse.
Die größte Ursache für Krankheit ist Unwissenheit – sowohl auf Seiten der Patienten als auch der Therapeuten. Je mehr wir über die wahren Ursachen von Krankheit verstehen, desto seltener wird der Bedarf an einer homöopathischen Behandlung sein.
Cyrus Maxwell Boger veröffentlichte seine Artikel hauptsächlich in verschiedenen homöopathischen Fachzeitschriften und Journalen, darunter:
- The Homoeopathic Recorder – Eine der bekanntesten homöopathischen Zeitschriften, die regelmäßig Artikel von führenden Homöopathen veröffentlichte.
- The Journal of the American Institute of Homeopathy – Ein weiteres wichtiges Medium, in dem Boger und andere homöopathische Ärzte ihre Erkenntnisse teilten.
- The Medical Advance – Eine Zeitschrift, die sich intensiv mit der Weiterentwicklung der homöopathischen Theorie und Praxis beschäftigte.
- The Homeopathic World – Eine britische Fachzeitschrift, die ebenfalls homöopathische Beiträge veröffentlichte.
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